Mittwoch, 11. April 2012

Kinder & Werbung: 
Für die Extraportion Zucker

Ob Schokolade mit der angeblichen Extraportion Milch oder Sahnepudding, der als gesunde Zwischenmahlzeit tituliert wird – die Marketingabteilungen großer Lebensmittelkonzerne lassen sich viele abenteuerliche Werbesprüche einfallen, um Kinder und deren Eltern zu ködern. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner richtet das Wort an die Erziehungsberechtigten: Spezielle Lebensmittel für Kinder sind ab dem ersten Lebensjahr gänzlich überflüssig. Ihrem Appell war eine Studie der Organisation Foodwatch vorausgegangen, die für großes Medienecho gesorgt hatte. Vivid for Life zu den Hintergründen.


„Voll auf Zucker, voll fett" (stern.de). „Fast alle Kinderlebensmittel sind zu süß und fett“ (Spiegel Online). „Profit auf Kosten der Kinder“ (Süddeutsche Zeitung Online). Der foodwatch-Report „Kinder kaufen – Wie die Lebensmittelindustrie Kinder zur falschen Ernährung verführt, Eltern täuscht und die Verantwortung abschiebt“ hat eingeschlagen wie eine Bombe. Vor allem der Marktcheck mit mehr als 1.500 Produkten stieß auf großes Medieninteresse.

Die Debatte über die Probleme bei der Kinderernährung, das Produktangebot für Kinder und die Frage nach der Verantwortung der Lebensmittelindustrie ist in Gang gekommen. Auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner äußerte sich zum foodwatch-Report. Die Kleinen bräuchten keine speziellen Produkte, sondern könnten ganz normale Produkte wie Quark und Gemüse verzehren, so die CSU-Politikerin. Allerdings sprach sie nicht von politischem Handlungsbedarf und Vorgaben für die Industrie. In erster Linie sehe sie die Eltern in der Pflicht: „Ein Dreijähriger geht schließlich nicht selbst zum Einkaufen in den Supermarkt.“ Der FDP-Gesundheitsexperte Erwin Lotter kommentierte die Kommunikation des Aigner-Ministeriums als „abenteuerlich verharmlosend“: „Natürlich steht ein Dreijähriger nicht selbst zum Bezahlen an der Kasse – sondern davor, und quengelt, weil in seiner Augenhöhe die Schokoriegel ausliegen.“ Die Bundestagsfraktionen von Grünen und SPD sprachen sich für ein „Verbot“ beziehungsweise eine „Eindämmung der Kinderwerbung“ aus.

BLL und ZAW: „Rabulistische Informationsstrategie“
Das sehen der Spitzenverband der Lebensmittelindustrie (BLL) und der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) ganz anders. ZAW-Hauptgeschäftsführer Manfred Parteina griff foodwatch direkt an: Es sei an der Zeit, „die Hintergründe der rabulistischen Informationsstrategie von foodwatch zu hinterfragen“ – von der eigenen Verantwortung für Werbung an Kindern ist in der Stellungnahme keine Rede. Der Zusammenhang zwischen stark kalorischen Lebensmitteln und Übergewicht sei lediglich „konstruiert“, heißt es da weiter – schließlich gebe es gar keine ungesunden Lebensmittel, „sondern nur unausgewogene Ernährung und mangelnde Bewegung“.

Spaß und Lebensfreude vermitteln
Der BLL warnt vor einer „irrationalen Zucker- und Fett-Hysterie“ und sieht seine „unmittelbare Verantwortung“ in der „Produktion geschmackvoller, hochwertiger und sicherer Lebensmittel, die auch Spaß machen und zu mehr Lebensfreude beitragen“. Die aus dem foodwatch-Report abgeleiteten Forderungen hält der BLL für „überzogen“.

Pressestimmen
Laut Hamburger Abendblatt sei es „gerechtfertigt, wenn die Verbraucherorganisation Foodwatch den Herstellern von Frühstücksflocken, Kinderjoghurts und Schokoriegeln eine Mitschuld am Übergewicht vieler Kinder in Deutschland gibt.“ Ein Werbeverbot für Kinderlebensmittel führe aber „zu weit“. Foodwatch hatte sich angesichts der bekannten Ernährungsprobleme dafür ausgesprochen, Schulen und Kindergärten zu werbefreien Räumen zu machen und für unausgewogene Produkte keine Marketingaktivitäten mehr zuzulassen, die sich gezielt an Kinder richten. Während die Mitteldeutsche Zeitung auf Aufklärung statt auf Werbeeinschränkungen setzt, kommt die Süddeutsche Zeitung zu dem Schluss: „An einem gesetzlichen Verbot von Werbung, die sich direkt an Kinder richtet, führt kein Weg vorbei.“

Quellen: www.foodwatch.de, www.stern.de, www.spiegel.de, www.sueddeutsche.de, www.zaw.de

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